Ein Hashtag (#) markiert in den sozialen Medien ein Schlagwort zu einem bestimmten Thema. Mit den Hashtags #wirhabenessatt und #wirmacheneuchsatt haben Twitter-Nutzer Tweets gekennzeichnet, die sich auf zwei Agrar-Demonstrationen am 16. Januar 2016 im Zuge der Internationalen Grünen Woche in Berlin bezogen. Während die einen eine bäuerliche und ökologischere Zukunftslandwirtschaft fordern, beklagen die anderen , dass die Kritik an der konventionellen Landwirtschaft aus dem Ruder gelaufen sei. Das war für mich Anlass die Online-Kommunikation auf Twitter mit den jeweiligen Hashtags näher unter die Lupe zu nehmen. Die Ergebnisse der Auswertungen sind in dieser kleinen Beitragsserie zusammengefasst. Hier im ersten Teil geht es um die Hashtags, im zweiten um die Wordclouds und im dritten um die Netzwerkanalyse der Twitter-User.
In jedem Jahr wiederholt sich ein ähnliches Spiel: Wenn im Januar die Internationale Grüne Woche (kurz: IGW) als größte Messe für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau in Deutschland stattfindet, kommen viele Verbraucher und Verbraucherinnen nach Berlin. Auch die Branche trifft sich dort. Ministerrunden und Verbände tagen und das Fachpublikum sucht den Austausch. Das mediale Interesse für Lebensmittel ist zu dieser Zeit sehr groß. Diese Aufmerksamkeit machen sich verschiedene Organisationen und Bündnisse zunutze, wenn sie zur Teilnahme an ihren Aktionen und Demonstrationen aufrufen.
Hashtag #wirhabenessatt
Eines dieser Bündnisse ist ein Zusammenschluss verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, die sich nichts Geringeres als die Abschaffung der Agrarindustrie zum Ziel gesetzt haben. Unter dem Motto „Wir haben es satt“ gehen sie seit einigen Jahren auf die Straße. Damit verleihen sie ihren Forderungen nach dem Stopp einer industriellen Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion sowie ihrem Anliegen für die Förderung einer bäuerlichen Landwirtschaft Ausdruck. In diesem Jahr fand die „Wir haben es satt“ Demo am 16. Januar ab 12:00 Uhr statt.
Der Aufruf zur Demo motivierte nach Angaben der Organisatorinnen und Organisatoren rund 23.000 Menschen (andere Quellen sprechen von 13.500 Teilnehmenden), an der Demo teilzunehmen. Unter dem Hashtag #wirhabenessatt twitterten sie und andere über die Veranstaltung.
Hashtag #wirmacheneuchsatt
Eine Art Gegendemo fand am gleichen Tag bereits ab 9:00 Uhr statt. Organisiert wurde sie von Bauern und Bäuerinnen, die auch etwas satt haben: Und zwar die Art und Weise wie über konventionelle Landwirtschaft geurteilt, geschimpft und diskutiert wird.
Die Einteilung in „Gute Öko-Landwirtschaft“ und „Böse konventionelle Landwirtschaft“ wollen sie nicht mehr hinnehmen. Unter dem Motto „Wir machen euch satt“ haben sie deshalb dafür geworben, die Diskussionen über die „richtige Landwirtschaft“ mit mehr Sachlichkeit und frei von ideologischen Vorurteilen zu führen.
Nach Angaben der Veranstaltenden haben rund 1.500 Bauern und Bäuerinnen diese Forderung vor Ort unterstützt (andere Quellen sprechen von rund 500). Mit dem Hashtag #wirmacheneuchsatt haben Teilnehmende, Unterstützende und andere die Twitter-Kommunikation zu dieser Veranstaltung versehen.
Tweets, Retweets und Unique Users
Häufig spiegeln sich Offline-Ereignisse als Kommentare in den sozialen Medien wieder. Die Kommentare sind spannende Datenquellen für Kommunikations- und Sozialwissenschaft sowie für die Marketingabteilungen in Unternehmen. Schön ist es deshalb, wenn man auf diese Daten zugreifen kann.
Twitter gewährt den Datenzugriff per Schnittstelle (Twitter-API). Davon habe ich Gebrauch gemacht und am Tag nach den beiden Demonstrationen eine Such-Abfrage mit den beiden Hashtags gestartet. Da beide Demos am 16. Januar stattgefunden haben, habe ich mich dabei auf die Tweets in der zeit von 00:00 Uhr bis 24:00 Uhr beschränkt. Die Ausbeute war gut: Über die Schnittstelle habe ich insgesamt 3.849 Tweets (inklusive Retweets) bekommen.
Die Suche mit dem Hashtag „#wirhabenessatt“ ergab eine Liste mit 3.753 Tweets und die Suche mit dem Hashtag „#wirmacheneuchsatt“ eine Liste mit 96 Tweets. Die Datensätze umfassen u. a. den Text des Tweets, den Nutzernamen des Urhebers oder der Urheberin (@Name), das Datum und die Zeit, wann der Tweet gesendet wurde und ob es sich um einen Retweet handelt oder nicht. Bilder werden bei der Abfrage nicht mitgeliefert.
1.692 verschiedene Twitterer und Twitterinnen haben den Hashtag #wirhabenessatt für ihre Kommunikation verwendet. Von den 3.573 Tweets waren 2.711 als Retweet markiert (ca. 72 Prozent).
Unter dem Hashtag „wirmacheneuchsatt“ haben 53 verschiedene Nutzer getwittert. Von den 96 Tweets waren 56 Retweets (rund 58 Prozent).
Da die Demonstrationen um 9:15 bzw. für 12:00 Uhr geplant waren, habe ich zunächst einmal die Verteilung der Tweets nach Uhrzeit dargestellt (s. Abbildungen). Die meisten Tweets inkl. Retweets wurden für beide Hashtags gegen die Mittagszeit geschrieben; also in der Zeit, in der die „Wir haben es satt“-Demo ihre Fahrt aufnahm. Danach ist die Tweet-Frequenz pro Stunden bei beiden wieder gesunken, wobei es unter #wirmacheneuchsatt in den Abendstunden nochmal eine deutliche Aktivität gegeben hat.
Solche Besonderheiten geben manchmal einen Hinweis darauf, dass um die Uhrzeit noch etwas spannendes passiert ist und das sich ein genauerer Blick dorthin lohnen könnte. In diesem Fall gab es jedoch nichts, was besonders auffällig wäre. Da 96 Tweets noch rechtüberschaubar sind, ist die Prüfung einfach. Ein Blick in die Tabelle mit den Tweets genügt. Bei über 3.750 Tweets sieht die Sache schon anders aus. Weitere (teil-)automatisierte Analysen sollten deshalb folgen. Wie man beispielsweise Schlüsselworte identifiziert, davon berichte ich im nächsten Teil dieser kleinen Beitragsserie.
Fazit der Hashtag-Analyse
Die „Wir haben es satt“-Bewegung kann durchaus größere Menschenmassen motivieren, die für ihre Forderungen auf die Straße gehen. Diese Zahlen schlagen sich auch in den Tweets mit dem Hashtag „wirhabenessatt nieder. Die Zahlen der Tweets mit dem Hashtag #wirmacheneuchsatt bleiben im Vergleich weit dahinter zurück. Für das Anliegen eines fairen und sachlichen Dialogs in Sachen zukunftsfähige Agrar- und Ernährungswirtschaft muss daher wohl noch weiterhin geworben werden.
Auch wenn die beiden Hashtags eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen, inhaltlich sind sie es nur bedingt. Während die einen eine Abkehr vom bestehenden System der Agrar- und Ernährungswirtschaft anstreben, fordern die anderen einen sachlichen Dialog über Landwirtschaft. Etwas unglücklich finde ich daher die Verwendung des Begriffs „Wir machen euch satt“. Denn er beinhaltet eine Unterscheidung in „wir“ und „euch“. Und genau das festigt das Bild von „Gut“ und „Böse“ bzw. von „Pro“ und „Contra“. Aber eben diese Vereinfachung wird dem vielschichtigen System der Agrar- und Ernährungswirtschaft nicht gerecht.
Auch der Begriff „etwas satt haben“ in der Bedeutung, dass man einer Sache überdrüssig ist, ist negativ besetzt. Er beinhaltet ebenfalls eine Unterscheidung in „gut“ und „böse“. Dadurch werden Positionen aufgebaut, die in einem Dialog und Verständigungsprozess schwer zu überwinden sind. Wir brauchen daher andere Hashtags: Wie wäre es zum Beispiel mit: #Wirmüssenreden ?
Im nächsten Teil geht es zur Visualisierung von Textinhalten mit Hilfe von Wordclouds. Zur Netzwerkanalyse geht es hier.